Ein paar Erfahrungen mit Amazon in Coronazeiten Lobpreisungen von Amazon und seinen Gründer Jeff Bezos gibt es wie Sand am Meer. Eine lautet so: „Der Gigant unter den Onlinehändlern – seine Marktmacht, sein Service und seine Ambitionen – sind legendär und Vorbild für Viele.“ (Richard L. Brandt: Mr. Amazon: Jeff Bezos und der Aufstieg von amazon.com)
„Wir liefern nicht in diese Region.“
Wie sieht der „legendäre“ Service von Amazon nun, in Coronazeiten aus? Dazu lieferte eine Kundin von Amazon vor ein paar Tagen passende Informationen. Sie schrieb mir als Nachricht über den Amazonkanal (sowas gibt's): „Hallo, ich würde das Buch ( – der Titel tut nichts zur Sache – ) gerne bestellen, aber leider kommt immer: Sie liefern nicht in unsere Region? Wir wohnen in XXXX. Können Sie mir da helfen? Das Buch wäre ein Geburtstagsgeschenk für meinen Mann. LG, XXXX“
Im Rheinland hat Amazon mittlerweile einen eigenen Lieferservice eingerichtet. Jahrelang wurden die Kunden hier von der Deutschen Post beliefert, wenn sie bei Amazon bestellt hatten. Amazon war einer der größten, wenn nicht der größte Kunde der Post in der Paketzustellung. Seit 2016 baut Amazon Sortierzentren in der Nähe von Großstädten auf und beschäftigt eigene Boten mit der Ablieferung an die Adressen. Dieser eigene Lieferdienst scheint sich für das Unternehmen zu lohnen. Nicht aber lohnt es sich für Amazon offenbar, in Regionen zu liefern, wo es diesen eigenen Lieferdienst nicht gibt. Dort erhalten Kunden dann in diesen Tagen bei Bücherbestellungen die Nachricht: „Wir liefern nicht in diese Region.“
Priorisierung
Das Zauberwort für Amazon in Coronazeiten heißt „Priorisierung“. Auf den Seiten des Unternehmens ist seit Ausbruch der Pandemie folgende Information zu finden: „Im Zuge der wachsenden Ausbreitung des Coronavirus verzeichnen wir eine verstärkte Nachfrage im Online-Shopping, die sich kurzfristig auch auf Bestellungen auswirkt. ... So können wir die Lagerung und Lieferung von Artikeln, die für unsere Kunden eine höhere Priorität haben, vorrangig behandeln. Hierzu gehören insbesondere Lebensmittel, Gesundheits- und Körperpflegeprodukte und Artikel, die für die Arbeit von zu Hause benötigt werden. Diese Anpassungen haben dazu geführt, dass einige unserer Lieferzusagen länger als üblich sind ...“
Bücher gehören bei Amazon nicht zu den Artikeln, die eine „erhöhte Priorität“ haben. Die Folge: Bücher, wenn sie denn überhaupt geliefert wurden und werden, brauchten und brauchen länger als in Normalzeiten. Nachdem Amazon in Deutschland und weltweit mit dazu beigetragen hat – manche Beobachter sagen auch: „entscheidend“ dazu beigetragen hat –, dass zahlreiche Buchhandlungen schließen mussten, und die Ausbreitung des Virus in Deutschland zur (vorübergehenden) Schließung aller Buchhandlungen führte, gab es für viele Menschen wochenlang in Deutschland überhaupt keine Möglichkeit mehr, an neue Bücher zu kommen.
Der Marktplatz
Der Marktplatz und der eigene Geschäftsbereich werden bei Amazon getrennt geführt. Das bedeutet, dass der Marktplatz von Händlern für den Verkauf von Waren genutzt wird. Hier handelt Amazon als Mittelsmann, teilweise übernimmt Amazon auch den Versand. Den eigenen Onlinehandel betreibt Amazon, indem das Unternehmen eigene (auch eingekaufte) Waren verkauft und versendet.
In Normalzeiten finden die KundInnen Bücher aus dem Kid Verlag auf Amazon in beiden Bereichen: sowohl auf dem Marktplatz, als auch im Geschäftsbereich von Amazon. Wie sie dahin kommen? Amazon hat beim Kid Verlag noch nie Bücher bestellt. Trotzdem bietet das Unternehmen alle Titel an, egal ob es sich um Neuerscheinungen oder ältere, aber noch lieferbare Titel handelt. Wenn die Bücher nicht von uns geliefert werden, woher bezieht Amazon sie dann? Offenbar von einem der beiden Buchgroßhändler Libri oder KNV. Ich vermute von Libri. Wer über die Autobahn von Gießen nach Leipzig oder Dresden fährt, kommt durch Bad Hersfeld. Das Lager von Libri befindet sich dort auf der einen Seite der Autobahn, das von Amazon auf der anderen.
Daneben hat der Kid Verlag einen Platz auf dem Amazon-Marktplatz. In Normalzeiten können wir Neuerscheinungen dort anbieten. Diese Angebote auf dem Marktplatz werden von den KundInnen höchst selten angenommen. Warum auch? Für ein Buch, das der Kunde hier, auf dem Marktplatz, erwirbt, bezahlt er ( in der Regel) 3.- € mehr als für dasselbe Buch, das er bei Amazon selbst erwirbt. In Coronazeiten hat der Kid Verlag, wie zahlreiche, vermutlich die meisten anderen Verlage, gar keine Möglichkeiten, Neuerscheinungen auf dem Marktplatz zu platzieren. Auf den Versuch, einen neuen Titel auf dem Marktplatz erscheinen zu lassen, erhält der Verlag derzeit die Mitteilung von Amazon: „Sie sind nicht zugelassen, um dieses Produkt aufzulisten, und wir akzeptieren derzeit keine Anmeldungen.“
Zum Schluss
820 unabhängige Buchhändler und Verleger aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg, die sich in der Branchengruppe „Buchhandelstreff“ vereint haben, formulierten schon einige Jahre vor der Coronakrise als Amazon versuchte, Verlagen Konditionen aufzudrücken, wenn sie ihre Bücher über das Unternehmen verkaufen wollten: „Das Ausnutzen von Marktmacht, die bewusste Lieferverzögerung von Titeln ausgewählter Verlage, um Druck aufzubauen, um Konditionenforderungen durchsetzen zu können, ist nicht nur ein bedrohliches Zeichen für die Buchbranche, sondern auch ein klarer Affront gegenüber dem Buchleser und -käufer. Gerade die schnelle Beschaffung des Kulturguts Buch ist die Grundaufgabe des Buchhandels. Wer diese torpediert, um geschäftliche Vorteile zu erzwingen, macht deutlich, wie er mit wachsender Marktmacht umzugehen gedenkt.“ (Börsenblatt, 20. Mai 2014.) Im Jahr 2014 ging es – erst einmal zumindest – um einzelne Verlage. Spätestens heute zeigt sich, dass die ganze Branche betroffen ist.
(7.5.2020)
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